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Tot am Fleschfelsen
Ein mysteriöser Leichenfund an einem außergewöhnlichen Fundort beschert der Kripo Trier im Frühjahr 1983 Kopfzerbrechen. Wie ist die Tote, die laut Personalausweis in Wuppertal wohnte, an diesen Ort gelangt? Was hat sie in den Hochwald verschlagen? Wonach hat sie hier gesucht, nachts, am Fleschfelsen, mitten im Wald bei Mandern? Wollte sie etwa hinaufsteigen? Die Fragen beschäftigen nicht nur die Polizei, sondern auch den Keller Kriminalhauptkommissar a. D. Heiner Riemenschneider. Eine Spur führte führt in ein nahegelegenes Esoterikzentrum, und der ehemalige Mordermittler nutzt seine Chance. Leseprobe Jakobi atmete einige Male vernehmlich ein und aus, und Decker nickte. Sie kannten einander seit ihrem zehnten Lebensjahr, und genauso lange waren die beiden Männer befreundet. Zusammen mit ihrem Schulfreund Riemenschneider bildeten sie ein unzertrennliches Trio. „Lass uns die Sache hinter uns bringen“, brummte er und bewegte den Unterschenkel hin und her. Der Anblick, der sich ihnen wenig später bot, übertraf ihre Befürchtungen. „Vermutlich war sie betrunken“, meinte Franz. „Aber das werden die Untersuchungen ergeben. Die Kleidung hat auf jeden Fall ihren Teil Wein oder etwas in der Art abbekommen.“ Er zuckte mit den Augenbrauen, fegte eine Schuppe vom oberen rechten Brillenrand und schob die Sehhilfe um einige Millimeter nach oben. „Oh!“, rief Stefan. „Dumm, dass die Spusi den nicht entdeckt hat.“ „Wie?“, meinte Franz verdutzt. „Für gewöhnlich haben Toni und seine Leute …“, wollte Jakobi erwidern. Doch bevor der den Satz zu Ende bringen konnte, hockte Stefan neben der Leiche und pflückte etwas Unscheinbares aus der Blutlache. „Ein schwarzer Mantelknopf“, nickte Jakobi in Wilfrieds Richtung und dann zu seinem Schulfreund Decker hinüber. „Wer sagt uns, dass der nicht seit Monaten an dieser Stelle gelegen hat?“ „Niemand!“, erwiderte Stefan und verstaute seinen Fund. „Deshalb nehme ich das Ding ja mit.“ Wilfried trat einen Schritt zur Seite, verlagerte sein Körpergewicht auf den linken Fuß und wiegte den Kopf, ehe er in die Innentasche fasste und eine Zigarettenschachtel nebst Feuerzeug hervorkramte. Der drahtige Kriminaloberkommissar war der einzige Raucher im Team. „Weshalb muss es ausgerechnet dieses schreckliche Kraut sein?“, konnte sich Stefan nicht verkneifen. Doch der Kollege gleichen Dienstgrades verzog die Mundwinkel, schielte auf den filterlosen Glimmstängel und inhalierte tief. Er rauchte seit seiner Jugend, und daran würde sich nichts Grundlegendes ändern. Aber immerhin: In den letzten zwölf Monaten war es ihm gelungen, seinen täglichen Konsum zu reduzieren. „Hm“, murmelte er. „Noch eine Überraschung ertrage ich nicht!“, jammerte Jakobi. Wilfried zuckte mit den Schultern und zwickte sich in die Nase, ehe er die Kippe zu Boden schnippte und zertrat. „Habt ihr euch die Fingernägel näher angeschaut?“, fragte er schließlich in die Runde. Jakobi räusperte sich. Stefan trat einen Schritt näher an die Leiche heran. „Tut mir leid, ich kann dir nicht ganz folgen.“ Er schwieg einige Sekunden und kraulte in seinen Haaren. Dabei zerstörte er nicht nur seinen akkurat gezogenen Mittelscheitel, sondern verwandelte die gesamte Frisur, abgesehen von den Haaren am Hinterkopf, die tief im Nacken endeten, in ein struppiges Etwas. „Ich würde sagen, die Maniküre ist etwas zu kurz gekommen“, meinte er schließlich. „Das dachte ich zunächst auch“, erklärte Wilfried. „Dafür habe ich ein lebendes Beispiel in meiner Familie. Unsere Marion ist in dieser Hinsicht kein Fan von Maniküre. Die nimmt ihre Nagelschere, und los geht‘s. Wie das Ganze hinterher aussieht, scheint ihr völlig schnurz zu sein. Dabei wird sie in drei Monaten achtzehn.“ „In dieser Hinsicht ist jeder Mensch anders“, meinte Franz, von dessen fünf erwachsenen Kindern, drei weiblichen Geschlechts waren. „Aber ich ahne, worauf du hinauswillst, Wil. Die beiden Daumennägel könnten genauso gut abgekaut sein.“ Wilfried antwortete mit Schweigen. Für einen Augenblick verharrte er auf der Stelle und starrte zu einer Gruppe von Bäumen hinüber. Schließlich verzog er die Mundwinkel, trat einen Schritt zurück und zuckte mit den Schulterblättern. „Wo sind die Zeiten hin, in denen man von seinen Untergebenen verwöhnt wurde?“, seufzte Jakobi und setzte die Kaffeemaschine in Gang. |