Damals im November
Was sich auch immer an Allerheiligen 1970 im Wald bei Kell zugetragen hat: Johannes Ippendorf, das Opfer, hat dieses Geheimnis mit ins Grab genommen. Der Hauptverdächtige, Ippendorfs Freund, Werner Dresse wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Doch Kriminalhauptkommissar a. D. Riemenschneider hat mit diesem Fall noch nicht abgeschlossen. – Auch nach zwölf Jahren nicht! Aber dann führt im Oktober 82 eine Feier in Kell ihn und Dresse, der seit damals in Koblenz lebt, aufs Neue zusammen, und der Ermittler im Vorruhestand erkennt seine Chance. Doch ihm bleibt nicht viel Zeit, während irgendwo ein Mann lebt, der zahlen soll, damit ein anderer schweigt. Leseprobe: Es soll Tage geben, an denen ist die Welt grau. Und auch die seine war nun im Begriff, sich von einem Moment auf den nächsten zu verändern. In zirka dreißig Meter Luftlinie von ihm und seiner kleinen Etagenwohnung entfernt, stieß ein Bus eine schwarze, stinkende Wolke in die Atmosphäre. Doch der Mann im dunkelblauen handgestrickten Pullover vernahm weder das Motorengeräusch des Fahrzeugs noch die Türen, die sich öffneten und wieder schlossen. Der Ficus in der Zimmerecke hatte wieder ein paar Blätter verloren, und der verbliebene Rest machte Anstalten, sich zu kräuseln. Regen setzte ein. Tropfen spritzten gegen die schmutzige Fensterscheibe in seiner Wohnküche. Erst hinterließen sie dünne Streifen, dann breite Rinnsale. Irgendwo rief jemand „He!“ und „Alter, lebst du noch?“ Wenige Sekunden später arbeitete sich der Bus eine Steigung hinauf, und mehr und mehr verlor sich sein Geräusch im übrigen Straßenlärm. Der Mann bewegte seine Ellenbogen auf der Tischplatte hin und her. Seine Zehen wurden kalt. Mit einem Seufzer platzierte er den linken Fuß vor seinem rechten, während er die geöffnete Morgenpost mit beiden Händen zusammenschob. Wie lange er bereits auf dem äußeren Rand der Eckbank hockte, vermochte er nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Doch dann zwang ihn ein knurrender Magen, seinem Grübeln Einhalt zu gebieten. Er inspizierte den Inhalt der Hängeschränke. Dort hatten, zwischen Haferflocken und einem Paket Zwieback, Würstchen im Glas, Fischkonserven und diverse Fertiggerichte ihren Platz gefunden. Seine Hand griff nach einer Dose Nudeln mit Huhn, deren Inhalt er nach dem Erwärmen direkt aus dem Topf löffelte. Im Kühlschrank befand sich noch eine Dose Bier. Das Zischen, mit dem sie sich öffnen ließ, klang wie Musik in seinen Ohren. Kühl und köstlich rann der erste Schluck durch seine Kehle. Mit forschem Schritt trat er schließlich den Rückweg zur Eckbank an. Der Tag war arbeitsreich gewesen. Nun ja, das sollte auch so sein. Schließlich war er sein eigener Chef. Er winkelte den linken Ellenbogen an, bewegte ihn nach oben und betätigte den Lichtschalter. Dann leerte er die Bierdose in einem Zug. Draußen hatte sich Dämmerung breitgemacht und war kurz davor, in Dunkelheit überzugehen. Er lehnte den Kopf zurück und beobachtete wie so oft das allabendliche Schauspiel vor seinem Fenster. Erst ein halbminütiges Flimmern. Dann schaltete das Transparent sich ein. Er grinste, als er bemerkte, wie sich nach der Nahrungsaufnahme allmählich eine positive Stimmung in ihm aufbaute. Wie hatte er sich bloß von einem grauen Blatt Papier derart die Laune verderben lassen können? Es war einfach lächerlich. Seine wulstigen Augenbrauen huschten in die Höhe, während er sich mit der rechten Hand durch seine braunen Haare strich und sich dem Damals im November Was sich auch immer an Allerheiligen 1970 im Wald bei Kell zugetragen hat: Johannes Ippendorf, das Opfer, hat dieses Geheimnis mit ins Grab genommen. Der Hauptverdächtige, Ippendorfs Freund, Werner Dresse wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Doch Kriminalhauptkommissar a. D. Riemenschneider hat mit diesem Fall noch nicht abgeschlossen. – Auch nach zwölf Jahren nicht! Aber dann führt im Oktober 82 eine Feier in Kell ihn und Dresse, der seit damals in Koblenz lebt, aufs Neue zusammen, und der Ermittler im Vorruhestand erkennt seine Chance. Doch ihm bleibt nicht viel Zeit, während irgendwo ein Mann lebt, der zahlen soll, damit ein anderer schweigt. Leseprobe: Es soll Tage geben, an denen ist die Welt grau. Und auch die seine war nun im Begriff, sich von einem Moment auf den nächsten zu verändern. In zirka dreißig Meter Luftlinie von ihm und seiner kleinen Etagenwohnung entfernt, stieß ein Bus eine schwarze, stinkende Wolke in die Atmosphäre. Doch der Mann im dunkelblauen handgestrickten Pullover vernahm weder das Motorengeräusch des Fahrzeugs noch die Türen, die sich öffneten und wieder schlossen. Der Ficus in der Zimmerecke hatte wieder ein paar Blätter verloren, und der verbliebene Rest machte Anstalten, sich zu kräuseln. Regen setzte ein. Tropfen spritzten gegen die schmutzige Fensterscheibe in seiner Wohnküche. Erst hinterließen sie dünne Streifen, dann breite Rinnsale. Irgendwo rief jemand „He!“ und „Alter, lebst du noch?“ Wenige Sekunden später arbeitete sich der Bus eine Steigung hinauf, und mehr und mehr verlor sich sein Geräusch im übrigen Straßenlärm. Der Mann bewegte seine Ellenbogen auf der Tischplatte hin und her. Seine Zehen wurden kalt. Mit einem Seufzer platzierte er den linken Fuß vor seinem rechten, während er die geöffnete Morgenpost mit beiden Händen zusammenschob. Wie lange er bereits auf dem äußeren Rand der Eckbank hockte, vermochte er nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Doch dann zwang ihn ein knurrender Magen, seinem Grübeln Einhalt zu gebieten. Er inspizierte den Inhalt der Hängeschränke. Dort hatten, zwischen Haferflocken und einem Paket Zwieback, Würstchen im Glas, Fischkonserven und diverse Fertiggerichte ihren Platz gefunden. Seine Hand griff nach einer Dose Nudeln mit Huhn, deren Inhalt er nach dem Erwärmen direkt aus dem Topf löffelte. Im Kühlschrank befand sich noch eine Dose Bier. Das Zischen, mit dem sie sich öffnen ließ, klang wie Musik in seinen Ohren. Kühl und köstlich rann der erste Schluck durch seine Kehle. Mit forschem Schritt trat er schließlich den Rückweg zur Eckbank an. Der Tag war arbeitsreich gewesen. Nun ja, das sollte auch so sein. Schließlich war er sein eigener Chef. Er winkelte den linken Ellenbogen an, bewegte ihn nach oben und betätigte den Lichtschalter. Dann leerte er die Bierdose in einem Zug. Draußen hatte sich Dämmerung breitgemacht und war kurz davor, in Dunkelheit überzugehen. Er lehnte den Kopf zurück und beobachtete wie so oft das allabendliche Schauspiel vor seinem Fenster. Erst ein halbminütiges Flimmern. Dann schaltete das Transparent sich ein. Er grinste, als er bemerkte, wie sich nach der Nahrungsaufnahme allmählich eine positive Stimmung in ihm aufbaute. Wie hatte er sich bloß von einem grauen Blatt Papier derart die Laune verderben lassen können? Es war einfach lächerlich. Seine wulstigen Augenbrauen huschten in die Höhe, während er sich mit der rechten Hand durch seine braunen Haare strich und sich dem Postberg aufs Neue zuwandte. Die Wurfsendungen verfrachtete er in die äußere Ecke des Tisches. Das gleiche Schicksal ereilte die Prospekte. Die Rechnungen sowie ein Schreiben seines Vermieters sortierte er nach Dringlichkeit und trug sie im Anschluss hinüber ins Wohnzimmer. Vor dem Haus zitierte irgendein Krakeeler eine Josefa herbei, als er einen letzten Blick auf ein Stück hellgraues Briefpapier warf, auf dem nur ein einziger Satz stand: Ich habe Dich gesehen! Jemand hatte eine Überschrift aus der Zeitung ausgeschnitten und auf das untere Drittel des Blattes geklebt. Für die Adresse auf dem Umschlag hatte sich der Unbekannte aus einem Anzeigenblatt bedient. Den Stempel konnte man nicht entziffern. Der Mann runzelte die Stirn und schüttelte schließlich den Kopf. Das ist Unsinn, schimpfte er im Stillen. Gegen manche Krankheiten gab es wohl keine Medizin. Und Idioten, die wohl nichts Besseres zu tun hatten, als unbescholtene Steuerzahler zu belästigen, gab es immer wieder. Hastig zerriss er das Papier in hundert Schnipsel, die er nach und nach im Aschenbecher verbrannte. aufs Neue zuwandte. Die Wurfsendungen verfrachtete er in die äußere Ecke des Tisches. Das gleiche Schicksal ereilte die Prospekte. Die Rechnungen sowie ein Schreiben seines Vermieters sortierte er nach Dringlichkeit und trug sie im Anschluss hinüber ins Wohnzimmer. Vor dem Haus zitierte irgendein Krakeeler eine Josefa herbei, als er einen letzten Blick auf ein Stück hellgraues Briefpapier warf, auf dem nur ein einziger Satz stand: Ich habe Dich gesehen! Jemand hatte eine Überschrift aus der Zeitung ausgeschnitten und auf das untere Drittel des Blattes geklebt. Für die Adresse auf dem Umschlag hatte sich der Unbekannte aus einem Anzeigenblatt bedient. Den Stempel konnte man nicht entziffern. Der Mann runzelte die Stirn und schüttelte schließlich den Kopf. Das ist Unsinn, schimpfte er im Stillen. Gegen manche Krankheiten gab es wohl keine Medizin. Und Idioten, die wohl nichts Besseres zu tun hatten, als unbescholtene Steuerzahler zu belästigen, gab es immer wieder. Hastig zerriss er das Papier in hundert Schnipsel, die er nach und nach im Aschenbecher verbrannte. |